Das Straßenbild, das sich seit Samstag so lebhaft gestaltet, ist heute ruhiger geworden; denn der Festesjubel ist verraucht, vorbei sind die „Tage von Aranjuez“ und die Schützen, die sich zu gemeinsamen, frohen Stunden die Hand gereicht hatten, obliegen wieder ihrer gewohnten Beschäftigung. Allgemein ist man des Lobes voll über das Bürgerschützenfest, das unter regster Beteiligung der Bevölkerung in schönster Harmonie verlief. Der Wettergott hatte geradezu ein übriges getan, so mild lächelte er, wie man es nur selten bei ihm gewohnt ist.
Eingeleitet wurde die Feier am Samstag nachmittag durch Kanonendonner. Gegen 6 Uhr setze sich das Bataillon unter Führung des Obersten Herrn Amtmann Böckenhoff nach dem Festplatze in Bewegung, wo der Vogel auf seiner Stange befestigt wurde. Ein gemütliches Konzert im Festzelt, ausgeführt von der Kapelle des Inf.-Regts. „Vogel von Falkenstein“ zu Wesel beschloss den Abend.
Der Sonntag begann mit einem Frühkonzert im Festzelt. Nachmittags 4 Uhr traten die Schützen auf dem Neumarkt an. Nach kurzer Begrüßung durch den Herrn Obersten wurden die Fahnen abgeholt. Bald erschien das Königspaar mit Gefolge, und schritt die Front des Bataillons ab, das unter präsentiertem Gewehr stand. Nach dem Parademarsch vor dem Königspaare ging der stattliche Zug zum Festplatze, wo gegen halb 7 Uhr nach der üblichen Verlosung das offizielle Schießen auf den Königsvogel begann.
Der Menschenandrang zum Festplatze war ein enormer und im Augenblick war der Kirmesplatz gefüllt. Das bekannte, bunte Bild, ein wirres lustiges Getümmel, bot sich hier nach alter Sitte dar. Die Teilnehmer kamen teils mit Wagen, Tausende jedenfalls zu Fuß. In der auf den Festwiesen aufgeschlagenen Budenstadt entwickelte sich oft beängstigendes Gedränge, nichtsdestoweniger war die Stimmung bei heiterem Himmel eine außerordentlich frohe und ungetrübte. Von abends 8 Uhr an herrschte im Festzelte ein reges Leben und Treiben bei Musik und Tanz.
Der Zweite Tag war ebenfalls vom Wetter sehr begünstigt. Morgens halb 9 Uhr trat das aktive Korps auf dem Neumarkte zum Abholen des Königs an, worauf sich der Festzug unter klingendem Spiel nach dem Festplatze bewegte, wo das Schießen auf den Königsvogel wieder aufgenommen wurde. Als Sieger ging Hr. Max Springmann hervor, der durch einen Kernschuß den Vogel herunterholte und sich somit die Königswürde errungen hatte. Die Schützen traten dem neuen König zu Ehren „unter die Waffen“ und unter den sonstigen Ehrenbezeugungen wurde der neue Schützenkönig in sein Amt eingesetzt und die alte Majestät Hr. Franz Mainz verabschiedet. Als Königin wurde erkoren Fräulein Wilhelmine Bergermann, die Tochter des Metzgermeisters herrn Bergermann am Altmarkt.
Den Clou der Festlichkeiten bildete auch gestern wieder die Parade in Gegenwart des neuen Königspaares. Dem nachfolgenden Festzuge durch die Straßen der Gemeinde sah man mit Spannung entgegen. Schon lange bevor der Zug nahte, bildete eine tausendköpfige Zuschauermenge in der Nähe vom Altmarkt Spalier. Der imposante Zug bot durch die verschiedenen Uniformen und bunten Kostüme einen recht abwechslungsreichen und farbenfrohen Anblick. Anerkennung verdient der reiche Flaggenschmuck. Ueberall wehten bunte Fahnen luftig im Winde; vor allem hatte auch die Wohnung des Königs und der Königin ein schönes Festtagskleid angelegt.
Am Abend wurde am Festplatze ein prächtiges Feuerwerk abgebrannt, dessen einzelne Phasen die schaulustige Menge mit unverholener Bewunderung verfolgte. Dann wurde getanzt und getrunken bis – nun, bis zum Schluß!
Vom zweiten Festtage haben wir noch das gemeinschaftliche Essen im Zelte nachzutragen, das bei perlendem Wein die zahlreichen Gäste allseits befriedigte. Dank gebührt auch an dieser Stelle dem Schützenvorstande, der mit Geschick und Umsicht die Vorbereitungen des Festes in die Hand genommen und dadurch das gute Gelingen verbürgt hat. Jedenfalls darf auch das Schützenfest 1911 mit hervorragenden Lettern in die Chronik der Gemeinde verzeichnet werden.
Bottroper Volkszeitung vom 18. Juni 1911